Munition über Bord gekipptNach Schätzungen von Experten liegen 400.000 bis 1.000.000 Tonnen Munition auf dem Grund der Nordsee. Der Grund: Nach Kriegsende wurde in der Nordsee massenhaft Munition entsorgt. Biologen und Kampfmittelexperten warnen vor einer Verseuchung. Die Behörden dagegen sprechen von Panikmache.

 

Bernsteinsammeln an der Nordseeküste kann bereits  gefährlich sein. Bernsteine lassen sich auf den ersten Blick kaum von Phosphorklumpen unterscheiden. Weil sich der aus Brandmunition stammende Phosphor entzünde, sobald er getrocknet ist, kann er schwere Verletzungen verursachen. Experten fordern zum Schutz der Touristen inzwischen ein Sammelverbot für Bernsteine in bereits bekannten Phosphor-Problemgebieten, wie z.B. Tossens.

Seit Ende des Zweiten Weltkrieges sind an der Nordseeküste zwischen Emden und Sylt 115 Menschen durch alte Munition ums Leben gekommen. Mindestens 35 Menschen haben teilweise schwere Verletzungen erlitten. Allerdings dürfte die Dunkelziffer weitaus höher liegen, weil munitionsbedingte Verletzungen von Sporttauchern oder Phosphorunfälle in der Fischerei nicht ausreichend dokumentiert werden. Hierzu gibt es kaum öffentliches Datenmaterial.

Besorgniserregend sind auch tausende von Giftgasgranaten aus dem Zweiten Weltkrieg, die vor der Nordseeinsel Helgoland liegen - wie Aufzeichnungen der ehemaligen Bezirksregierung Weser-Ems und der Wasserschutzpolizei belegen. Britische Besatzungstruppen hatten die aus Wehrmachtsbeständen stammenden Artilleriegranaten im Sommer 1949 etwa vier Kilometer südlich von Helgoland im Meer versenken lassen.

Das schleswig-holsteinische Innenministerium lehnt eine Bergung der mit dem Nervengift Tabun gefüllten Geschosse als zu gefährlich ab. Die über 6.000 Granaten durch Taucher bergen zu lassen, könne nicht verantwortet werden. Auf dem Meeresboden bestehe laut Ministerium hingegen keine konkrete Gefahr für Mensch und Umwelt. Der schleswig-holsteinische Kampfmittelräumdienst geht davon aus, dass es sich um über 90 Tonnen Munition mit ca. 12 Tonnen Nervenkampfstoff handelt.

Ein weiteres, spektakuläres Beispiel sind die Munitionsfunde beim Bau des JadeWeserPort. Bei den vielen Sandbewegungen gab es während der Aufspülungen beinahe täglich explosive Funde, die Arbeiten gerieten ins Stocken. Die Behörden hatten Probleme, den ständigen Alarm zu bewältigen. Wasserbauexperten halten es für möglich, dass die großflächigen Arbeiten am JadeWeserPort die Strömungen verändern und bald noch mehr Munition freispülen.

Insbesondere wird rund um die Hooksiel Plate - strömungstechnisch das direkte Einzugsgebiet des neuen Hafens - noch jede Menge Munition vermutet. Dieses Gebiet wurde bisher noch gar nicht auf Altlasten untersucht. Dabei ist diese Fläche eines der größten Gebiete überhaupt gewesen, in denen Munition versenkt wurde. Experten gehen allein in diesem Bereich von mehreren hunderttausend Tonnen aus.
Zu den Altlasten kommen immer wieder auch neue Belastungen hinzu:  In den Übungsgebieten der Bundeswehr in der Nordsee. Über neue Munition weiß man allerdings wenig, da sich die Behörden in zu diesem Thema sehr bedeckt halten.

Im Rahmen der Planungen für die Erdgas-Pipeline in der Ostsee hatte die Bundeswehr 2008 erstmals eingestanden, dass es kaum möglich sei, die Übungsmunition komplett zu entsorgen. Eine Veröffentlichung aller bekannten Zahlen wird bislang jedoch abgelehnt. Der Sprecher des Kampfmittelbeseitigungsdienstes des Landes Niedersachsen sagte bereits vor zwei Jahren gegenüber der Presse: "Ich plädiere für absolute Offenheit und eine aktive Information der Bevölkerung". Egal wie alt die Munition sei, sie stelle grundsätzlich eine Gefahr dar und könne jederzeit angeschwemmt werden.

Dies wird auch anhand des letzten dokumentierten Todesfalls deutlich. 1985 ist ein sogenannter Sprenggreifer, der von den Nato-Staaten bis heute in der Minenräumung verwendet wird, aufgefischt worden und an Deck explodiert. Allein 1984 und 1985 sind mindestens 36 solcher Sprengkörper von der Bundesmarine auf nicht genau bekannten Positionen in Nord- und Ostsee verloren gegangen.

Eine Konzeption für den Umgang mit diesen Problemen fehlt bis heute. Sinnvoll wäre nach Expertenmeinung eine umfassende öffentliche Meldepflicht für alle Funde und Unfälle mit Kampfmitteln sowie für Munitionsverluste. Auch die Eintragung aller potenziell belasteten Flächen in die amtlichen Seekarten sei notwendig.

Dabei drängt die Zeit. Wissenschaftler aus Russland haben bereits vor Jahren in Versuchen errechnet, dass Munition im Meer in der Regel erst nach 60 bis 70 Jahren so weit zersetzt sei, dass ihr giftiger Inhalt ins Wasser ströme. Bei nach 1945 versenkten Kampfstoffen muss es also bald so weit sein.

Hinweise auf die schleichende Freisetzung könnten auch die Fanguntersuchungen liefern. In Muscheln und Schollen können chemische Verbindungen besonders gut nachgewiesen werden. In Schollen aus bestimmten Fanggebieten werden bis zu zehnmal höhere Arsenwerte nachgewiesen, als in Vergleichsfängen aus anderen Gebieten. Hier warfen Toxikologen der Uni Kiel bereits vor Jahren die Frage auf, ob dieses Arsen aus den Munitionsresten der Nord- und Ostsee stammen könnte.

Das niedersächsische Umweltministerium hingegen warnte in den vergangenen Jahren immer nur vor Panikmache. Die Belastung werde als „nicht signifikant“ eingestuft, eine Anreicherung von Schadstoffen etwa in Fischen sei „bisher nicht nachgewiesen“. Und im Meer gebe es „extrem hohe Verdünnungsraten“. Allerdings räumte das Ministerium bereits vor zwei Jahren ein, dass diese Bewertung schon rund 17 Jahre alt ist. Neuere Zahlen gibt es bislang nicht.

Für eine Neubewertung der Gefahr dürfte daher eigentlich keine Zeit verstreichen - eigentlich.


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